Sven Zprottenkopp

Ach, du liebe Zeit!

Einige unzeitgemäße Betrachtungen

Wie bitte? Womit ich mir die Zeit vertreibe? Ich vertreibe mir die Zeit überhaupt nicht. Ist doch schlimm genug, dass es Leute gibt, die mir die Zeit stehlen. Da werde ich doch nicht den mir verbliebenen Rest auch noch vertreiben. Ja, erst vertreiben sich die Leute die Zeit und dann wundern sie sich, dass sie keine mehr haben.

Es gibt sogar Leute, die die Zeit totschlagen. Die Zeit wird sich früher oder später revanchieren.

Sein sie bloß auf der Hut vor den Zeitraffern. Das sind so ganz kleine Männchen, die sind so klein, dass man sie nur unter der Zeitlupe sehen kann. Die raffen die Zeit der Menschen zusammen und machen sich dann damit aus dem Staub.

Aber das tolle an der Zeit ist ja, wenn man keine hat, kann man sich welche nehmen. Jaa! Da geht man zu einer Zeitvermittlung, dass ist eine Fabrik, in der Zeitarbeiter an Zeitmaschinen Zeit herstellen und dort nimmt man sich ein Zeitmesser und schneidet sich ein Stück Zeit ab, einen Zeitabschnitt halt.

Es gibt die unterschiedlichsten Zeiten: Schöne Zeiten und schlechte Zeiten, frühere Zeiten, Frühzeiten, Eiszeiten, Urzeiten und Uhrzeiten, Raumzeiten, Mitteleuropäische Sommerzeiten usw.

Ältere Leute nehmen sich gern ein bisschen Kaiserzeit, einige auch Nazizeit. Masochisten bevorzugen Kriegs- und Nachkriegszeiten. Ich dagegen nehme am liebsten Essenszeit, Freizeit und Schlafenszeit.

Wenn jemand behauptet, er habe keine Zeit, dann ist dies glatt gelogen. Jeder hat nämlich gleich viel Zeit. Der Tag hat für jeden 24 Stunden, die Woche 7 Tage. Ausnahmen bilden hier lediglich die Menschen, die in einem bestimmten Zeitabschnitt sterben, bzw. geboren werden. Wenn einer sagt, er habe keine Zeit, dann meint er, dass er für etwas keine Zeit haben will.

Und wenn ich sowas schon höre: Zeitkritik! So ein Quatsch, die Zeit zu kritisieren.

Nach Einstein ist die Zeit relativ. Aber ich weiß nicht. Die Leute hier auf dem Amt bewegen sich nicht einmal annähernd mit Lichtgeschwindigkeit, und trotzdem dehnt sich die Zeit.

Ja, die Zeit. Sie hat ihr eigenes Maß. Und ihren eigenen Geist. Ihre eigenen Zonen, ihre eigene Rechnung, ihre eigenen Zeichen, ihre eigene Schrift, ihr eigenes Ung.

Wir leben ja angeblich in einer Wendezeit. Merkwürdigerweise besteht mein Leben aber zum größten Teil aus Wartezeit. In einer solchen entstehen dann solche Geschichten wie diese.


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