Paradoxa, Trugschlüsse, Antinomien


Krokodilschluss

Aus der Antike ist der Krokodilschluss überliefert, ein Trugschluss, bzw. ein trügerisches Dilemma oder Paradoxon.

Ein Krokodil hat ein Kind geraubt und verspricht der Mutter, ihr das Kind zurückzugeben, wenn sie errät, was das Krokodil tun wird. Die Mutter sagt daraufhin: »Du wirst mir das Kind nicht zurückgeben.«

Das Krokodil argumentiert nun: »Du wirst das Kind nicht zurückbekommen. Wenn Deine Aussage falsch ist, auf Grund unserer Vereinbarung. Wenn deine Aussage richtig ist, dann, weil es stimmt, dass Du das Kind nicht zurückbekommst.«

Die Mutter argumentiert dagegen: »Ich muss mein Kind auf jeden Fall zurückbekommen. Denn wenn meine Aussage wahr ist, dann erhalte ich das Kind auf Grund unsere Vereinbarung zurück. Sollte die Aussage falsch sein, dann erhalte ich meine Kind zurück, weil die Aussage ja falsch ist, dass ich es nicht zurückbekomme.«

Das Dilemma kommt folgendermaßen zustande: Dass es zwischen der Vorhersage und dem folgenden Ereignis Übereinstimmung gibt, hängt ab von der an dem Ereignis geknüpften Folge. Die Folge wird aber wiederum abhängig gemacht von der Übereinstimmung. Es handelt sich um einen paradoxen Zirkel, der verwandt ist mit dem circulus vitiosus.


Sophismus des Euathlos / Antistrephon

Ein ähnliches Dilemma oder Paradoxon zeigt sich im Sophismus des Euathlos. Bekannt ist der Trugschluss auch als Antistrephon.

Euathlos hatte sich von dem Sophisten  Protagoras in Sophistik ausbilden lassen. Vereinbart war, dass Euathlos die Hälfte des Honorars erst bezahlen würde, wenn er einen Prozess gewonnen hat. Nach der Ausbildung führte Euathlos aber keine Prozesse, gewann also auch keinen und zahlte nicht.

Daraufhin sagte Protagoras zu ihm: »Ich werde dich auf Zahlung verklagen. Dann musst du zahlen, egal wie das Gericht entscheidet. Gewinne ich, bezahlst du auf grund des Richterspruchs, gewinnt du, zahlst du auf grund unserer Vereinbarung.«

Aber der in Sophistik ausgebildete Euathlos antwortete: »Ich werde auf gar keinen Fall zahlen. Wenn ich verliere, auf grund unserer Vereinbarung. Wenn ich gewinne auf Grund des Richterspruchs.«

Auch hier besteht ein paradoxer Zirkel aus Vereinbarung, Ereignis und Folge. (Der Schiedsspruch der Richter lautete übrigens auf Vertagung.)

Es wird auch argumentiert, es liege hier eine Verletzung des  Identitätssatzes vor, da Euathlos in zwei verschiedenen Rollen auftrete. Im ersten Fall als Angeklagter, im zweite Fall als Verteidiger. Wenn man sich zuerst den  Krokodilschluss ansieht und erst dann den Sophismus des Euathlos, sollte deutlich werden, dass beim letzteren der paradoxe Zirkel aber zumindest hinzukommt.

Ein ähnliches Paradoxon – das eventuell auch auf einer Verletzung des Identitätssatzes beruht –, trug Bertrand Russell vor: Ein Barbier rasiert alle Männer seines Heimatortes, die sich nicht selbst rasieren. Er rasiert sich selbst, gehört mithin zu denen, die sich nicht selbst rasieren. (Auch der Barbier tritt in zwei Rollen auf, als aktiver Rasierer und passiver Rasierter.)


Einfache Paradoxa

Es gibt Paradoxa, die nicht verzirkelt sind und deshalb viel schneller als solche erkennbar. Aus der Antike ist der Satz überliefert: »Alle Kreter lügen«, sagte der Kreter. Würde die Aussage stimmen, hätte der Kreter nicht gelogen, damit wäre die Aussage aber falsch. (Genaugenommen hätte der Kreter allerdings sagen müssen: »Alle Kreter lügen immer.« Nur dann entstünde das Paradoxon. (Mir ist der altgriechische Originalsatz nicht bekannt.)

Ein Paradoxon aus neuerer Zeit: »Lesen Sie nicht diesen Satz!« Man kann die Aufforderung nicht zur Kenntnis nehmen, ohne gegen sie zu verstoßen.


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