Aristoteles

Der antike altgriechische Philosoph und Universal-Wissenschaftler Aristoteles (384–322 v. u. Z.), der den größten Teil seines Lebens in Athen lebte und wirkte [1], ist neben seinem Lehrer Platon einer der zwei großen Philosophen des Altertums und einer der bedeutensten Philosophen aller Zeiten. Er kam im Verlaufe seines Philosophierens und seiner Forschungen in vielen Punkten zu anderen Auffassungen als sein Lehrer. War Platon mehr Metaphysiker, so ist Aristoteles mehr Wissenschaftler. Aber – und das unterscheidet ihn von vielen heutigen Wissenschaftlern – über der empirischen Forschung, der Sammlung und Beschreibung der Tatsachen, die vor ihm wohl keiner in diesem Umfang betrieben hatte, sieht auch Aristoteles im philosophischen Erkennen, das alles Bestehende unter einheitliche Prinzipien ordnet, das oberste Wissen.

Aristoteles hat die Logik als eigenständige Wissenschaft begründet. Auch für viele Naturwissenschaften wird er als Gründer genannt. Seine Wirkung auf die Nachwelt, auf Philosophie und Wissenschaft ist wahrscheinlich noch größer als die von Platon. Sein System bestand aus Logik, Metaphysik, Physik, Ethik, Politik und Kunstlehre (Ästhetik). Sein System wurde grundlegend für die abendländische Philosophie, besonders für die mittelalterliche Scholastik.

Aristoteles wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich interpretiert. Das ist bei einer Person von solch geschichtlicher Wirkung, die ein so umfassendes Werk hinterlassen hat, wohl auch nicht anders zu erwarten. Je nach dem, für welchen Autor man sich entscheidet, wird man ganz verschiedene Darstellungen finden.


Aristoteles ausführlicher


Die Philosophie des Aristoteles


Lebenslauf

Aristoteles war 20 Jahre lang Schüler an der  Akademie [2], dann Lehrer Alexander des Großen und gründete dann seine eigene, die peripatetische Schule (nach peripatos), weshalb Aristoteliker auch Peripatetiker genannt werden. (Man findet auch die Angabe, dass diese Schule von einem seiner Schüler gegründet wurde.)


Platon und Aristoteles

Erkenntnisoptimismus: Platon und Aristoteles war gemeinsam die Überzeugung, dass die Menschen mit Denken und Sprache die Struktur des Seins erfassen können. Sie waren beide keine Skeptiker. [Ob die Sprache tauglich sei philosophische Erkenntnis zu vermitteln, dazu gibt es von  Platon auch negative Äußerungen.]

Empirismus: Unterschiede gibt es aber in den Erkenntnismethoden. Im Gegensatz zu  Platon war Aristoteles Empiriker und verteidigte ausdrücklich die Fähigkeiten der Sinne uns sicheres Wissen zu vermitteln.

Nach Platon besteht die Natur nur aus Schatten, hervorgebracht durch die  Ideen. Nach Aristoteles sind die Ideen nur hervorgebracht im Gehirn. Es sei nichts im Bewusstsein, was nicht vorher in den Sinnen war. (Wie später Locke.) Die Vernunft sei ganz leer, solange wir nichts empfänden.


Erkenntnistheorie

Allgemeinsinn: Jeder einzelne Sinn vermittle uns doch nur bestimmte Eigenschaften der Dinge. Erst der »Allgemeinsinn« vermittle uns ein einheitliches Bild der Wirklichkeit. [»Allgemeinsinn« kann man auch mit »Vernunft« übersetzen. Damit wäre Aristoteles erstaunlich nahe den heutigen naturwissenschaftlichen Auffassungen über den Erkenntnisprozess.]

Die metaphysischen Schriften des Aristoteles beschäftigten sich mit den allgemeinen Prinzipien. Dieser Teil der Philosophie wurde von Aristoteles »Erste Philosophie« genannt.


Analytik – Logik

Aristoteles hat die Logik (die er selbst »Analytik« nannte) als eigene Wissenschaft geschaffen, als Lehre vom richtigen Denken. (Formale Logik)

Begriff: Verstandesmäßiges Denken vollziehe sich in Begriffen. Diese erhielten wir durch Definitionen. Eine Definition umfasse zwei Teile: Einer ordne den Begriff in eine bestimmte Gruppe von Begriffen ein (der Mensch ist ein »Lebewesen«), der andere sage aus, worin sich der zu definierende Begriff von anderen zur gleichen Gruppe gehörenden Begriffen unterscheide (der Mensch ist ein »vernunftbegabtes« Lebewesen). Es gebe Begriffe höherer und geringerer Allgemeinheit.

Arsitoteles ist der Entdecker der Kategorien. Das sind Begriffe, die keinen gemeinsamen Oberbegriff mehr haben. Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeitpunkt, Lage, Haben, Wirken, Leiden. (Sehen Sie auch  Kant.)


Tafel der Kategorien nach Aristoteles

Kategorie Frage Beispiel
Substanz
(Gegenstand)
Was ist etwas?
 
Kind, Hund, Tisch,
Fahrrad, Bus.
Quantität
(Menge) 
Wie viel bzw.
groß ist etwas?
Fünf Stühle, zwei
Meter, drei Kilo.
Qualität
(Beschaffenheit) 
Wie beschaffen
ist etwas? 
Klug, fleißig, frech.
 
Relation
(Beziehung) 
Welche Beziehung hat
etwas zu anderem?
Doppelt, halb, kleiner.
 
Ort
 
Wo ist etwas?
 
Schule, Wohnung.
 
Zeitpunkt
 
Wann ist etwas?
 
Gestern, um 14 Uhr,
Übermorgen.
Lage
 
In welcher Lage
ist etwas?
Sitzt, liegt, geht.
 
Haben
 
Was hat etwas?
 
Hat Bücher, ist bekleidet.
 
Wirken
(aktiv)
Was tut etwas?
 
Liest, spricht.
 
Leiden
(passiv)
Was erleidet etwas?
 
Wird gelobt, getadelt,
bewundert.


Urteil: Begriffe verknüpften wir zu Urteilen. (Sehen Sie auch  Kant.)

Schluss: Das Fortschreiten des Denkens gehe immer in Schlüssen vor sich. Der Schluss sei die Ableitung eines neuen Urteils aus anderen Urteilen. Der Schluss bestehe aus den Voraussetzungen (Prämissen) und der Schlussfolgerung (Konklusion). Im Mittelpunkt der Schlusslehre steht der Syllogismus: Obersatz, Untersatz, Folgerung.

Erste Prämisse oder »Obersatz«:
»Alle Menschen haben ein Gehirn.«
Zweite Prämisse oder »Untersatz«:
»Alle Deutschen sind Menschen.«
Konklusion oder »Schlussfolgerung«:
»Alle Deutschen haben ein Gehirn.«
(In welchem Umfang sie es nutzen, ist eine andere Frage. ;-)

Beweis: Schlüsse verknüpften wir zu Beweisen. Ein Beweis sei die logisch zwingende Ableitung eines Satzes aus anderen Sätzen vermittels fortlaufender Schlüsse. Sätze, aus denen wir Beweise herleiten, müssten ihrerseits aber bewiesen sein. [Ansonsten haben wir eine »Petitio Principii«, von denen es in der Philosophie leider nur so wimmelt.] Zum Schluss käme man zu Sätzen allgemeinsten Charakters, die nicht weiter bewiesen werden könnten.

Allgemeine Sätze: Nach Aristoteles verfügen wir mit unserer Vernunft über das Vermögen zur unmittelbaren und irrtumsfreien Erfassung solcher allgemeinen Sätze. Diese seien Vorausetzungen dafür, dass das verstandesmäßige, begriffliche, diskursive Denken überhaupt stattfinden könne, da ihre Richtigkeit aller Beweisführung bereits zu grunde liege. Der oberste allgemeine Satz sei der Satz vom Widerspruch:

  1. Etwas, das ist, kann nicht gleichzeitig und in der selben Hinsicht nicht sein. [Durch den Zusatz »in der selben Hinsicht« ist dieser Satz auch für mich als Dialektiker annehmbar.] Beispiel: Der Computermonitor, auf den Sie gerade sehen, ist ein Teil der von Ihnen unmittelbar erlebten empiristischen Welt. Er kann nicht zugleich kein Teil der von Ihnen erlebten Welt sein.
    Drei weitere Prinzipien kamen später hinzu:
  2. Der Satz der Identität (a = a) Die Dinge sind mit sich selbst identisch.
    Sie sind Sie und Ihre Mutter ist Ihre Mutter. Sie sind nicht Ihre Mutter und Ihre Mutter ist nicht Sie.
  3. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Zwischen Sein und Nichtsein eines bestimmten Sachverhaltes gibt es kein Drittes) Entweder gibt es den Weihnachtsmann oder es gibt den Weihnachtsmann nicht. Es kann ihn nicht zugleich geben und nicht geben.
  4. Der Satz vom zureichenden Grunde. Alles hat eine Ursache, sonst wäre es nicht. Sie können diesen Text nur lesen, weil ihn vorher jemand geschrieben hat.

[ Hegel hat später – wie ich meine durchaus überzeugend – dargestellt, dass man mit dieser Logik allein die Welt nicht verstehen kann. Die Welt ist widersprüchlich und kann letztlich nur dialektisch begriffen werden.]

Induktion und Deduktion: In der Praxis werden wir nach Aristoteles allerdings in der Regel nicht aus allgemeinen Sätzen besondere ableiten (apodiktisch, deduktiv), sondern von Einzelbeobachtungen allgemeine Sätze ableiten (induktiv). Da man mit Hilfe der Induktion aber niemals endgültige Sicherheit erlangen könne [ ! ], maß Aristoteles die Richtigkeit eines Satzes auch darin, wieviele Gelehrte vor ihm diesen Satz bereits für richtig hielten. [Eine Methode, die sich im Mittelalter (Scholastik) und auch heute noch unter Dogmatikern einer großen Beliebtheit erfreut.]


Natur

Form und Stoff: (eidos, morphe + hyle) Die Formen (die eine starke Ähnlichkeit zu den  Ideen Platons haben) brächten die Materie hervor und seien damit nicht nur die ewigen Urbilder der Dinge sondern auch ihr Zweck und die Kraft, die die Dinge schaffe. Die Materie, die unabhängig von den Formen nicht Wirklichkeit sondern nur Möglichkeit habe, habe einerseits ein Verlangen nach den Formen als dem  Guten und Göttlichen, andererseits setze sie aber auch der formenden Kraft einen Widerstand entgegen. Dies erkläre die Unvollkommenheit alles Entstehenden, und dass die Entwicklung nur allmählich von niederen zu höheren Formen fortschreite.

[Nach meiner Auffassung ein sehr interessanter Grundgedanke. Die Entwicklung vom Einfachen zum Komplexeren – bezogen auf die materielle Entwicklung die subatomare, molekulare und biotische Evolution – damit die Entstehung neuer Qualitäten geschieht nicht einfach zufällig, was mir in keiner Weise plausibel erscheint. Es gibt metaphysische Kräfte, die dies bewirken. Weil diese Kräfte aber nicht allmächtig sind, gibt es Grausamkeit und Dummheit in der Welt, ein Tatbestand, der mit der Vorstellung einer allmächtigen, allwissenden und gleichzeitig gütigen Kraft nicht vereinbar ist. Sehen Sie hierzu auch  Über die Unschlüssigkeit des christlichen Gottesbildes.]

Allgemeines und Besonderes: Im Gegensatz zu  Platon, der nur dem Allgemeinen wahre Wirklichkeit zubilligte, können wir nach Aristoteles Allgemeines immer nur über die in Raum und Zeit existierenden Einzeldinge aussagen. Aristoteles geht aber nicht so weit wie die Nominalisten im Mittelalter, die nur dem Besonderen wahre Wirklichkeit zubilligten. (Siehe: Der Universalienstreit.) Nach Aristoteles erkennen wir im Allgemeinen durchaus etwas vom Wesen des Seienden.

Die vier Gründe des Seienden:

Teleologie: Bei seiner Naturbeobachtung kam Aristoteles zu dem Schluss, dass überall eine wunderbare Zweckmäßigkeit zu erkennen sei. Der eigentliche Grund der Dinge liege in ihren Endursachen, in ihrer Zweckbestimmung. [ Hegel]

Damit die Endursachen oder die Zwecke erreicht werden können, sei Bewegung nötig. War für Platon Bewegung nur etwas in der Welt der Erscheinungen vorkommendes, das das wahre Sein nicht berührt, so ist für Aristoteles gerade die Bewegung das, was die Möglichkeiten im Sein erst realisiert.

Gott: Aristoteles lehrt einen Gott, der als erster Beweger selbst nicht bewegt sei. Er sei die reine Form ohne Stoff. Er sei reines Denken, reiner Geist. Gott denke nur das Höchste und Vollkommenste und da er selbst das Vollkommende sei, denke er sich selbst. Gott bewege die Welt so wie etwas Geliebtes. Der Liebende wird bewegt, er strebt nach dem Geliebten, ohne dass das Geliebte selbst bewegt sein muss.

Die »Äthertheorie« in der Elementenlehre des Aristoteles besagt, dass die gleichmäßigen Kreisbewegungen der Gestirne in einem Äther stattfinde, der als Medium diene und ein absolutes Bezugssystem für Bewegung darstelle. Dieser Gedanke lebte in der Physik bis zum Beginn des 20 Jahrhunderts fort und wurde erst von  Einstein widerlegt. [3]


Mensch

Leib und Seele: Leben zeichne sich dadurch aus, sich selbst zu bewegen. Das Bewegte sei der Leib, das Bewegende die Seele. Leib und Seele seien wie  Stoff und Form. Die den Leib bewegende und formende Seele nennt Aristoteles »Entelechie«. So wie die Form Zweck des Stoffes, so sei die Seele Zweck des Leibes und der Leib Werkzeug (Organon) der Seele.

Das Stufenreich des Lebendigen:

  1. Pflanzen, Ernährung und Fortpflanzung, Pflanzenseele
  2. Tiere, Sinneswahrnehmung und Ortsveränderung, Tierseele
  3. Menschen, Vernunft, Menschenseele
    Die jeweils höhere Seele könne ohne die niedere nicht bestehen.

Unsterblichkeit des Geistes: Der Mensch stehe mit seinem Leib und den niederen Seelentätigkeiten in der Reihe der Lebewesen. Hinzu trete der Geist [Bewusstsein?], der unsterblich sei. Wie Geist und Körper sich verbänden und wie der Geist unabhängig vom Körper bestehe, darüber hat sich Aristoteles nicht näher ausgelassen. [Das heißt, die beiden Grundfragen jeder  dualistischen Theorie zum Leib-Seele Problem hat auch er nicht beantwortet.]

 Tugend: Da der Mensch in erster Linie Vernunftwesen sei, bestehe die erste, dianoetische Tugend in der ständigen Vervollkommnung dieser Vernunft. Die zweite Art sei die ethische Tugend. Sie bestehe in der Herrschaft der Vernunft über die sinnlichen Triebe.

Was das  Gute sei, darum wüssten wir mit dem »Auge der Seele«. [Für mich ist das eine andere Formulierung für  Gefühlsethik.]


Staat

zoon politikon: Der Mensch sei ein »zoon politikon«, ein »Staatsentwickelndes Tier«. Er bedürfe zu seiner Vervollkommnung der Gemeinschaft mit anderen Menschen. [4] Die Betrachtung der  Tugend sei der theoretische Teil der Ethik, die Staatslehre sei der praktische Teil der Ethik. Politik sei angewandte Ethik. [Schön wär's!]

Staatsformen:

Welche der drei Formen die beste sei, hänge ab von dem jeweiligen Volk und von der jeweiligen Zeit. Am günstigsten sei eine Mischung von politiischen (heute würden wir sagen demokratischen) und aristokratischen Elementen, so dass der Mittelstand den Schwerpunkt des Staates bilde. Aristoteles kritisierte  Platons Staatsvorstellungen als unrealisierbar.

[Aristoteles ist gegenüber Platon der Realist. Während Platon aus der Unvollkommenheit der drei Staatsformen den Schluss zog, eine unrealisierbare Staatsform zu propagieren, plädiert Aristoteles für eine gesunde Mischung der drei Formen. Wenn wir unsere heutigen Staatsverfassungen in den demokratischen Ländern ansehen, dann finden wir dort Aristoteles wieder:

  1. Wahlen (demokratisches Element)
  2. Zwischen den Wahlen Herrschaft der Parlamentarier, Minister, Richter etc. (aristokratisches Element).
  3. Starke Stellung des Regierungschefs (monarchistisches Element).

Verglichen mit dem, was die Menschheit bisher an gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht hat, können wir meiner Ansicht nach mit dieser Staatsform ganz zufrieden sein.

Wenn heutzutage von Gewaltenteilung die Rede ist, dann wird darunter die horizontale und vertikale Gewaltenteilung verstanden. Dass wir auch eine Gewaltenteilung im aristotelischen Sinne haben, ist scheinbar nur wenigen Insidern bekannt. Wenn die Kritik Platons an den verschiedenen Staatsformen und die Antwort, die Aristoteles darauf gegeben hat, bekannter wäre, dann würde es vielleicht eine größere Skepsis gegenüber »Totaldemokratie« oder Volksabstimmungen geben.]


Literatur, Sekundärliteratur und Links von oder zu Aristoteles

Literatur (»Corpus Aristotelicum«):

Sekundärliteratur:


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Anmerkungen

Anm. 1: Geboren wurde Aristoteles in Stagira/Makedonien, gestorben ist er in Chalkis auf Euboia. Zurück zum Text

Anm. 2: Für gute Leistungen ist oft eine lange Studienzeit nötig. Ein Akkordstudium bringt in der Regel nur Mittelmaß hervor. Hauptsache die Leute sind schnell am Arbeitsmarkt. Für Aristoteles war die Vernunft das Höchste, heute ist es der Markt. Zurück zum Text

Anm. 3: Auf das Nichtvorhandensein eines Äthers wies auch schon das Michelson-Morley-Experiment hin. Allerdings glaubten die Initiatoren dieses Experiments (mindestens am Anfang) weiter an das Vorhandensein des Äthers. Sie glaubten, die Durchführung des Experiments sei an irgendeiner Stelle fehlerhaft. Zurück zum Text

Anm. 4: Eine Gegenposition dazu entwickelte später  Sartre mit seiner Behauptung: »Die Hölle, das sind die anderen.« Zurück zum Text


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