Kritik an Wikipedia

Was macht das Stichwort »Wikipedia« in einem philosophischen Lexikon? Wikipedia hat viele Artikel zu philosophischen Themen. Dort wird Philosophie produziert, Philosophie erläutert, Philosophiegeschichte vermittelt, Interpretationen verschiedener Philosophen und philosophischer Richtungen, Strömungen, Begriffe betrieben. Wikipedia ist eine Art »kollektiver Philosoph«! Deshalb ist Wikipedia inzwischen selbst von philosophischem Interesse.

Bevor ich mit meiner Kritik komme, zuerst einmal ein Lob: Wikipedia ist eine ganz tolle Sache!!! Über eine Million deutschsprachige, mehrere Millionen englischsprachige Artikel über alle möglichen Themen. Was dort an Wissen gesammelt ist, dagegen kann man den Brockhaus vergessen. (Ganz abgesehen mal davon, dass nicht jeder das Geld hat, um sich einen 20 Bändigen Brockhaus anzuschaffen.) Wenn man mal kurz etwas über eine bestimmte Stadt oder eine bestimmte Schauspielerin etc. erfahren will, aber auch über eine bestimmte wissenschaftliche Disziplin, über ein chemisches Element, über eine bestimmte Pflanze etc. Seit es das Internet, seit es Wikipedia gibt, ist das erheblich einfacher, als das in früheren Jahrzehnten war. (Die ich im Gegensatz zu den meisten Wikipedia-Nutzern noch bewusst erlebt habe.) Viele Menschen meiner Generation haben das noch nicht einmal ansatzweise begriffen.

in dem Moment allerdings, in dem es um Themen geht, die umstritten sind, Themen aus den Bereichen Politik, Religion, Philosophie etc. rate ich dazu, nicht nur den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu lesen! Dort geht es nämlich häufig nicht nur um Information, sondern um Interpretation. Nicht nur darum, was erwähnt wird, sondern auch um das, was nicht erwähnt wird. Dort ist es oft eine Machtfrage, was in den Artikeln steht und was nicht.

Wikipedia – Die freie Enzyklopädie? Das »Mitmachlexikon«? Wo jeder mitschreiben kann? Ha, das war mal so. So ist noch immer der theoretische, bzw. der verbale Anspruch. Die Realität ist: Jeder kann etwas in die Artikel schreiben, aber nur sehr wenige Leute entscheiden, was von dem Geschriebenen drin bleibt!

Als ich 1998 damit begann, das philolex aufzubauen, gab es wikipedia noch nicht. Zum Glück! Sonst hätte ich wahrscheinlich nie damit begonnen eine eigene philosophische Homepage aufzubauen. Dann wäre ich wahrscheinlich ein aktiver Mitarbeiter von wikipedia geworden. Dort hätte ich aber vieles nicht schreiben können, was ich auf meiner eigenen Seite schreiben kann.

Als wikipedia entstand, habe ich neben der Arbeit an meiner eigenen Homepage auch immer wieder Beiträge für wikipedia-Artikel verfasst. Ca. 95% dessen, was ich schrieb, wurde ohne jeden Kommentar gelöscht. Deshalb schreibe ich dort inzwischen so gut wie nichts mehr und konzentriere mich auf meine eigene Homepage.

Exemplarisch erläutern will ich das mal an der Art, wie bei wikipedia über Nietzsche informiert wird. Nietzsche hat viele Äußerungen von sich gegeben, in denen er Menschenvernichtung, Verbrechertum, Krieg, Sklaverei, Unterdrückung der Frauen und der Arbeiter etc. fordert oder begrüßt. Nietzsche wird deshalb von vielen Menschen als Reaktionär und als ein Wegbereiter des Faschismus angesehen. In dem Wikipedia-Artikel über Nietzsche erfährt man davon nichts. Jeder Versuch, den Leser zu informieren, dass Nietzsche von vielen Kennern so beurteilt wird, auch nur, dass Nietzsche umstritten ist, wird unterbunden! Die Wächter des Artikels wollen nicht, dass der Leser diese Informationen bekommt. (Wer die Diskussionsseite öffnet, erfährt etwas davon. Aber das machen die wenigsten Nutzer.)

Wikipedia ist eine autoritäre, hierarchische, undemokratische Einrichtung, in der einige Menschen mit totalitärem Charakter ihre Herrschsucht ausleben!


Dieses Urteil muss nicht für alle, vielleicht nicht einmal für die Mehrheit der Wikipedia-Aktivisten zutreffen. Schon gar nicht trifft es für die vielen Menschen zu, die gelegentlich – wie ich früher auch – Beiträge zu Artikeln schreiben. Das Urteil trifft aber für eine große Zahl der Administratoren und Aktivisten zu.

Viele meiner Leser haben mir im Verlaufe der vergangenen Jahre berichtet, sie würden Links zu meinen Artikeln in Wikipedia-Artikel schreiben, weil sie der Auffassung sind, meine Artikel seien verständlicher, kompakter etc. Diese Links würden fast immer ohne Begründung entfernt.

Es gibt inzwischen viele Berichte im Internet, in denen hinter die Kulissen von Wikipedia gekuckt wird (einige sind unten verlinkt) und aus denen sich folgendes entnehmen lässt: Fast jeder Wikipedia-Artikel »gehört« irgendeinem Administrator oder sonstigem Wikipedia-Aktivisten, der namentlich aber nicht in Erscheinung tritt. Der achtet mit Argusaugen darauf, dass in diesem Artikel nichts steht, was er dort nicht haben will. Die hauptsächliche Tätigkeit dieser »Besitzer« oder »Wächter« besteht nicht darin, dass sie etwas schreiben, sondern dass sie löschen.

In früheren Zeiten und leider auch heute noch in diktatorischen Ländern sitzen diese Leute, bzw. Leute ihres Schlages in den staatlichen oder religiösen Zensurbehörden.

Mit der behaupteten Objektivität und Neutralität ist es in den Wikipedia-Artikeln häufig nicht weit her. Oft steht einfach das drin, was der politischen und philosophischen Meinung des Administrators und anderer wikipedia-Aktivisten entspricht. Was denen nicht passt, wird rausgeschmissen. Und zwar in der Regel ohne jeden Kommentar, ohne jede Begründung.

Ein weiterer Kritikpunkt: Einige Artikel zu philosophischen Themen sind so lang, dass sie nur noch für Fachleute von Interesse sind. Wer schnell etwas nachschlagen will, der muss zunehmend andere Seiten suchen. Länge, Wortwahl und Satzbau führen häufig dazu, dass Anfänger und Laien eher von der Philosophie abgeschreckt werden.

Monopole sind immer schlecht. Und die Bedeutung von Wikipedia als Online-Lexikon hat beinahe monopolartige Züge. Es gibt viele andere kostenlose Lexika im Internet. Die müssen bekannter werden. Nicht nur meines ;-)




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