Nicolaus Cusanus / Nikolaus von Kues

An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit tritt der Deutsche Nicolaus Cusanus oder Nikolaus von Kues auf. (1401–1464 – beide Namen werden häufig gebraucht.) Ein Philosoph der Frührenaissance. Die philosophische und wissenschaftliche Entwicklung der Neuzeit ist so stark in seinen Gedanken keimhaft vorhanden, dass er von manchen Fachleuten als Begründer der neueren Philosophie angesehen wird. (Meistens wird allerdings Descartes als deren Gründer genannt.) Seine Philosophie war eine Abkehr vom damals herrschenden  Aristotelismus. Erst Rechtsanwalt, dann Geistlicher, päpstlicher Legat in Konstantinopel, Kardinal, Bischof von Brixen.

Aktiver Charakter des menschlichen Erkennen: Der Mensch schöpfe auf Grundlage von Sinnesdaten eine gedankliche Welt, die nicht mit der von Gott geschaffenen Welt identisch sei. (Die Welt und das Bild, das wir uns von ihr machen, sind nicht das Gleiche. Das Bild entsteht aber auch nicht losgelöst von der wirklichen Welt. Das ist im Kern die Auffassung Kants und die der modernen Naturwissenschaft.)

Drei Stufen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit:

  1. Die Sinnlichkeit (Empirie) verbinde einzelne, nicht zusammenhängende
    Eindrücke.
  2. Der Verstand (ratio) verbinde und ordne die Sinneswahrnehmungen. Seine Haupttätigkeit sei das Unterscheiden, Auseinanderhalten der Gegensätze. Sein oberstes Prinzip sei  der Satz vom ausgeschlossenen Dritten.
  3. Die Vernunft (intellectus) verbinde das, was der Verstand trenne, zur höheren Einheit, zur Synthese. Auf der Ebene der Vernunft gebe es ein Zusammenfallen der Gegensätze (coincidentia oppositorum).

Individualität: Es gebe keine zwei gleichen Individuen. Jeder Mensch spiegele die Welt in seinem Denken wie in einem Hohlspiegel mit jeweils verschiedener Krümmung in einmaliger nie wiederkehrender Art. (Wie später bei  Leibniz.)

Mathematik: Gott habe die Welt unter Zugrundelegung mathematischer Gesetze geschaffen. Cusanus benutzte häufig mathematische Begriffe und Vergleiche. Wenn man den Radius als unendlich annehme, dann falle der Umfang des Kreises mit einer Geraden zusammen.

Unendlichkeit und Dynamik: In diesen Vergleichen zeigte sich der abendländische Drang zum Unendlichen, zum Fließenden, zum Dynamischen. Im Gegensatz zu einer solchen Betrachtungsweise war der antike griechische Geist auf Maß, Klarheit, Begrenzung gerichtet.

Astronomie: Das Weltall habe keinen Mittelpunkt, die Himmelskörper seien grundsätzlich nicht anders beschaffen als die Erde, das Universum sei grenzenlos, die Erde bewege sich. (An diese Gedanken knüpfte Bruno an und führte sie weiter. Was der allerdings dann mit seinem Leben bezahlen musste.)

Gott: Gott sei das absolut Unendliche, indem alle Gegensätze zusammenfielen. Gott stehe als Verborgener jenseits unserer Fassungskraft. ( Negative Theologie, Neuplatonismus.)

Pantheismus: Cusanus sagte, Gott sei das Größte und das Kleinste. Da nichts außerhalb Gottes sei, gebe es nichts Größeres und nichts Kleineres. Dies ist faktisch eine pantheistische Aussage. Es gibt aber auch Aussagen von Cusanus, wo zwischen Gott und Welt unterschieden wird. [Cusanus war in diesem Punkt nicht konsequent. Als ein Vertreter der Kirche hätte er allerdings auch keinen konsequenten Pantheismus vertreten können.]

Ich weiß, dass ich nichts weiß: Bezogen auf das Absolute sei das Ergebnis all unseres Denkens ein Nichtwissen, aber ein gelehrtes, bewusstes Nichtwissen. (Sokrates) So heißt eine seiner Schriften De docta ignorantia. [Cusanus ist auch in dieser Auffassung inkonsequent. Denn er macht ja jede Menge Aussagen über Gott.]

Noch in einem weiterem Sinne seien die Menschen in ihrem Wissen begrenzt: Der Mensch gehe bei seinem Erkennen vom Einzelnen zum Allgemeinen ( Induktion). Er könne aber nie zum total Allgemeinen gelangen. Der Wert einer Sache ergebe sich aber aus seiner Stellung im Ganzes, das der Mensch nicht erfassen könne.

Während bei anderen Philosophen, z. B. Aristoteles das Entscheidende an den Dingen die Substanz ist, sind es bei Cusanus die Relationen. Die Welt sei ein Beziehungsgeflecht. Das entscheidende sei die Struktur. Wir könnten ein Netzwerk von Beziehungen erkennen, aber nicht das Wesen der Dinge. (Ähnliches vertratt 500 Jahre später der Physiker Hans-Peter Dürr.)

Religion: Idee einer weltweiten Toleranz. Christen,  Griechen, Juden, Araber usw. suchten und verehrten letztlich, jenseits der Verschiedenartigkeit des Kultus, den gleichen Gott.

[Äußerst selten, dass man von einem Vertreter der Kirche dermaßen Vernünftiges lesen kann! Anerkennung!]

Literatur:


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