Strukturalismus

Strukturalismus ist eine in Frankreich entstandene wissenschaftliche Grundauffassung oder Forschungsmethode, die ihren Höhepunkt dort in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte. Ihr Hauptanliegen ist das Aufdecken unbewusster universaler menschlicher Denkprinzipien.

Strukturalismus wird aber auch als Sammelbezeichnung für bestimmte Methoden bezeichnet, da die Aussagen verschiedener Strukturalisten nicht immer einheitlich sind.

Der Strukturalismus fand seine Weiterentwicklung, bzw. »Widerlegung« im Poststrukturalismus. Die Grenze zwischen diesen beiden Strömungen ist fließend. Viele französische Philosophen und Wissenschaftler des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts werden in der philosophischen Literatur mal dem einen, mal dem anderen Lager zugeordnet.

Die von Ferdinand de Saussure begründete strukturale Linguistik behauptet, dass Sprachen Zeichensysteme seien, denen eine unbewusste Struktur zugrunde liege, die aufdeckbar sei.

Der von Claude Lévi-Strauss begründete Strukturalismus besagt, dass nicht nur die Sprache, sondern auch andere kulturelle Produkte Zeichensysteme seien, bei denen man auch nach denen ihnen zugrunde liegenden Strukturen forschen könne. So wurde der Strukturalismus zu einer allgemeinen Forschungsmethode, besonders aber in den Bereichen der Linguistik, der Ethnologie, der Psychologie und der Mathematik.

Der Strukturalismus geht davon aus, dass Phänomene nicht vereinzelt existieren, sondern in Verflechtung mit anderen Phänomenen. Die Verbindungen der vielen Phänomene bilden eine Struktur, die aufdeckbar sei. Genau betrachtet zeige sich aber, dass die Struktur vom Beobachter in die Wirklichkeit hineingetragen werde, sie unabhängig vom Beobachter nicht existiere. (Das erinnert stark an Kant, nach dem die Menschen nicht nur Strukturen sondern vieles weiteres in die Welt hineintragen, z. B. Raum, Zeit, Naturgesetze.) Bei diesem Vorgang würden universale menschliche Denkprinzipien aufgedeckt. (Auch das erinnert an Kant. Und an den Konstruktivismus.)

Die Strukturalisten zerlegen das Gegebene (gedanklich) und setzen es anschließend wieder zusammen (konstruieren es – siehe auch Konstruktivismus) und erst bei dieser schöpferischen menschlichen Tätigkeit entstehe die Welt und ihre Bestandteile und würden diese verstanden. Die Vernunft, bzw. der Logos liege nicht in den Objekten, sondern in den Subjekten.

Die Strukturalisten wenden sich aber gleichzeitig gegen die Subjektphilosophie. Es gebe objektive Strukturen, die das subjektive Denken beherrschen. Es geht also um universale menschliche Denkprinzipien, die aber nichts desto trotz nichts Subjektives, sondern Objektives darstellen. [Interessant in diesem Zusammenhang das dialektische Verhältnis von Subjektivem und Objektivem. Ob etwas subjektiv oder objektiv ist, ist immer eine Sache des Zusammenhangs, des jeweiligen Blickwinkels.]

Da die Strukturalisten bestrebt sind, die vielen Phänomene gleichzeitig zu beschreiben und Strukturen als statische Gebilde ansehen, ist für den Strukturalismus kennzeichnend die Synchronie im Gegensatz zur Diachronie.

Da für die Strukturalisten die vom Beobachter mit Sprache konstruierte Struktur gegenüber der Wirklichkeit das Wichtigere darstellt, ist für sie der Signifikant das Wichtigere gegenüber dem Signifikaten, der nur als Hilfsmittel dient.

In der Philosophie geht es dem Strukturalismus weniger um die Inhalte von Aussagen, als um die Struktur philosophischer Aussagen und Systeme.

Im Gegensatz zum Marxismus werden die objektiven Strukturen nicht aus der empirisch wahrnehmbaren Wirklichkeit abgeleitet, sondern vom Beobachter konstruiert.


Kritik am Strukturalismus

Ich erläutere es einmal an einem praktischen Beispiel: Das Wort »Brot« ist der Signifikant, das Brot selbst, die stoffliche, materielle Substanz, ist der oder das Signifikat. Im praktischen Leben brauche ich Brot bzw. andere Nahrungsmittel, Signifikate eben, um zu leben. Von den Wörtern kann ich mich nicht ernähren. Im Strukturalismus, also in dieser wissenschaftlich-philosophischen Theorie sind aber die Wörter wichtiger als die Dinge. Dinge sind nur Hilfsmittel. Dass geistige Vorgänge sich von materiellen unterscheiden, dass Erkenntnis oft Abstraktionen voraussetzt, dagegen habe ich nichts einzuwenden. Problematisch wird es meines Erachtens nach, wenn sich Menschen sosehr vom praktischen Leben abkoppeln, dass ihre Theorien zum praktischen Leben überhaupt keinen Bezug mehr haben.

Der Strukturalismus sieht nicht die historische Entwicklung von Strukturen.

Der Strukturalismus vernachlässigt die sinnlich feststellbaren Tatbestände zu Gunsten von zumindest zum Teil sinnlosen Abstraktionen.

Man kann mit der strukturalen Methode durchaus bisher unbekannte Strukturen aufdecken und sinnvolle Erkenntnisse produzieren, die nicht nur unser Wissen vergrößern, sondern z. T. auch im praktischen Leben verwertbar sind. Man kann sich aber auch – wie viele Strukturalisten, besonders aber die Poststrukturalisten, demonstrieren – dermaßen von der Realität entfernen, dass man Theorien hervorbringt, die vom praktischen oder naturwissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, absolut verrückt sind, z. B. wenn die Wirklichkeit auf Sprache reduziert wird, alle Probleme zu Sprachproblemen werden.

Dass Einzelerscheinungen sich (oft) erst durch ihre Stellung in einem größeren Zusammenhang erklären lassen, ist eine Teilwahrheit. Einzelerscheinungen stellen aber häufig selbst bereits schon einen größeren Zusammenhang dar. Das Teil ist für sich allein teilweise bereits erklärbar. Außerdem interessiert sich der Strukturalismus ja letztendlich überhaupt nicht für die Erklärung der Teile aus ihrem Zusammenhang mit anderen Teilen. Es geht ihm nur um die Struktur. [1]


Anmerkungen

Anm. 1: Noch einiges zum Verhältnis des Ganzen und der Teile unabhängig von der Kritik am Strukturalismus:
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das ist bereits eine Grundaussage der Dialektik. In der Natur hat jedes Teil eines Ganzen eine spezifische Funktion, die nur im Ganzen ein Sinn hat. (Bei einer Pflanze oder einem tierischen Organismus.) Eine Leber allein könnte nicht überleben (wozu auch?). Erst in einem Körper hat sie einen Sinn und eine Existenzgrundlage. (Soweit ihr Inhaber kein Alkoholiker ist ;-)) Technische Produkte sind nicht auf die Summe ihrer Komponenten reduzierbar. Einzelne Teile eines Flugzeuges könnten nicht fliegen.
Diese Auffassung sollte aber nicht in alle Existenzbereiche übertragen werden. Sonst ist der einzelne Mensch nämlich auch nur noch von Bedeutung als Teil der Gesellschaft, des Volkes, der historischen Epoche etc. Einige politische und philosophische Lehren haben dies so gesehen, bzw. praktiziert. (Hegel, Stalinismus, Faschismus.)
Die Gesellschaft ist mehr als die Summe der sie bildenden Individuen. Kein Mensch könnte allein den materiellen Lebensstandart schaffen, der in den reichen Ländern der Welt den Durchschnitt darstellt. Kein Mensch kann das Wissen haben, das die Menschheit als Ganzes hat. Nichts desto trotz hat der Einzelne einen Wert. Wer es anders sieht, sollte sich einfach mal vorstellen, er selbst sei völlig bedeutungslos und nur als Glied eines höheren Zusammenhangs sinnvoll.
Ein einzelner Mensch hat oft Probleme, die sich nicht durch Analyse der Strukturen, in die er eingebettet ist, beheben lassen. Hier ist eine ähnliche Kritik angebracht, wie bei Hegels Überbewertung des Allgemeinen gegenüber dem Besonderen, Einzelnen.
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