Henri Bergson

Henri Bergson (1859–1941) war ein französischer Philosoph und Literatur-Nobelpreisträger. Er war der bedeutendste unter den neueren Lebensphilosophen. In frühen Jahren war er stark von Spencer, Mill und Darwin beeinflusst, wandte sich später aber gegen deren Rationalismus. Bei dem Versuch, Spencers System auszubauen, kam er zu ganz anderen Positionen. Einflüsse von Schellings und Schopenhauers Freiheits- und Willensphilosophie.

Raum und Zeit: Raum und Zeit seien nicht (wie bei  Kant) zwei gleichberechtigte Anschauungsformen. Der Raum sei homogen. Man könne sich beliebig in ihm bewegen. Bewegung sei nur das Aufeinanderfolgen verschiedener räumlicher Lagen der Körper. Wo die Naturwissenschaft glaubt, die Zeit zu messen, messe sie in Wirklichkeit nur Veränderungen im Raum. Die Zeit sei nicht homogen. Sie sei eine nicht umkehrbare Reihe. Jeder Moment sei etwas Neues, Einmaliges, Unwiederholbares. Die Zeit sei ein unteilbares Fließen. Der Raum sei, die Zeit sei nicht, sie werde immerzu.

Verstand und Intuition: Dem Raum zugeordnet sei der Verstand. Hier sei er zu wahrer Erkenntnis fähig, da er der Materie wesensverwandt sei. Der Verstand sei das Organ des »Homo faber«, des Werkzeuge produzierenden Menschen. Die wirkliche Zeit könne der Verstand nicht begreifen. Hier helfe nur die Intuition weiter. Die Intuition sei das Organ des »Homo Sapiens«, des anschauenden erkennenden Menschen.

Philosophie: Die Philosophie könne mit dem Verstand nichts anfangen. Der Philosoph könne nur durch anschaulich bildhafte Darstellung des von ihm intuitiv erkannten anderen zu der gleichen Intuition verhelfen.

Elan vital: (Lebensschwung) Die Entfaltung des Lebens zu immer höheren Formen komme nicht aus der Materie und ihren Gesetzen, sondern gerade gegen sie, gegen Trägheit und Zufall. Die Entstehung zweckmäßiger und komplizierter Gebilde als einen Prozess der Variation (zufälliger Mutation) und Auslese anzusehen, sei ein Wunderglaube. [Das sehe ich exakt genauso! Besonders wenn Umweltfaktoren nur auslesend, nicht aber auch gestaltend wirken. Es gibt wie Konrad Lorenz es nannte, intelligensanaloge Prozesse in der Natur.]

Leben und physiochemische Prozesse: Die Lebensvorgänge berührten sich mit physikalischen und chemischen Kräften nur so weit, wie man die kleinsten Teile eines Kreises als Teil einer Linie betrachten könne. Tatsächlich unterscheide sich das Leben von physikalischen und chemischen Prozessen wie eine Kurve von einer Geraden.

Bewusstsein: Das Bewusstsein sei nicht vom Körper abhängig. Bewusstsein sei überall wo Leben ist. [Warum nur dort, wo Leben ist? Warum nicht überall, wo überhaupt etwas ist? Wie bei Spinoza und Husserl.] Aber nur der Mensch habe Intuition, die Form des Bewusstseins, in der das Leben sich selbst erkenne, über sich selbst nachdenken könne.

Geschlossene und offene Moral: Geschlossene  Moral sei unpersönlich, beruhe auf einem gesellschaftlichen Druck, diene zur Erhaltung der sozialen Gewohnheiten und gelte deshalb immer nur für eine begrenzte Gruppe von Menschen. Offene Moral dagegen sei persönlich und von der Gesellschaft unabhängig. Sie sei verkörpert nur in hervorragenden Einzelpersönlichkeiten. Sie gehe hervor aus einem unmittelbaren Erfassen des Lebensgrundes und umfasse in Liebe das ganze Leben.

Statische und dynamische Religion: Anstelle des Instinkts der sozialen Tiere trete beim Menschen die statische Religion, ein Produkt der »Fabulierenden Funktion« des Verstandes. Ausgedachte Geschichten hätten eine sozial bindende und eine Trostpflasterfunktion. [ ! ] Von dieser statischen Religion zu unterscheiden sei die dynamische Religion, die Mystik. Sie gehe hervor aus dem ahnenden Erfassen des Unerreichbaren. Sie sei nur bei einzelnen außergewöhnlichen Menschen vorhanden. Wenn diese sagten, der Ursprung des Lebens liege in Gott und im Menschen sei ein unsterblicher göttlicher Funke, dann könne die Philosophie dies zwar nicht beweisen aber dankbar annehmen.


Kritik an Bergson

Dass es Bereiche des Seins und des menschlichen Seins gibt, die mit Rationalität nicht erfasst werden können, dem stimme ich zu. Und nur rationalistisch vorgehende Menschen vernachlässigen häufig diese Bereiche. Von daher ist es verständlich und zu begrüßen, dass dem Rationalismus entgegengesetzte Philosophien entstehen. Die Lebensphilosophen können eine interessante Stimme im Konzert sein. Aber letztendlich sind sie mit ihrer Ablehnung des Rationalismus weit über das Ziel hinausgeschossen. Und es fehlt auch hier die skeptische Distanz zu den eigenen Überzeugungen. Woher die Leute immer die Sicherheit hernehmen, dass sie den Stein der Weisen gefunden haben – und nicht die hundert anderen Philosophen, die von ganz anderem überzeugt sind –, kann ich nicht nachvollziehen.

Was die Zeit betrifft, so bin zu der Überzeugung gelangt, dass es im unmittelbaren Erleben gar keine Zeit gibt, sondern nur Gegenwart, nur das Jetzt. Vergangenheit und Zukunft sind Erinnerungen bzw. Erwartungen als Erlebnisse im Jetzt. Hier vertrete ich fast die gleiche Auffassung wie Augustinus, von dem ich ansonsten nichts halte, da er der Begründer des christlichen Dogmatismus' ist. Auch  Kant liegt mir da näher, für den die Zeit eine Anschauungsform ist.

Was Bergson über Religion und  Moral schreibt kann ich im Kern unterstützen. Ich würde es auf grund anderer Grundüberzeugungen aber etwas anders formulieren.


Literatur:

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