Peter Möller

Ist der Tod überwindbar?   (1999/2000)


Dieser Artikel beschäftigt sich nicht mit religiösen Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele o. ä. – lediglich in den zwei letzten Absätzen bin ich kurz darauf eingegangen –, sondern mit der Frage, ob im weiteren Verlauf des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Unsterblichkeit des Menschen in dieser Welt erreichbar ist. Der Text ist entstanden als Beitrag zur »Unsterblichkeits-Debatte« bei den Transhumanisten, mit denen ich zeitweilig sympathisiert habe.


1. Die individuellen Unsterblichkeit ist sehr unwahrscheinlich

Ich lebe gern und deshalb werde ich solange leben, wie es nur irgendwie geht. (Mit der Einschränkung allerdings, dass ich ein Leben, dass nur noch aus Leid bestände, ohne Aussicht auf Besserung, nicht als lebenswert empfinden würde. In solchen Fällen halte ich Selbsttötung und Sterbehilfe für legitim – oder eben die Einfrierung, wenn jemand Wert darauf legt.) Mein Wunsch noch einem möglichst langen Leben wird mir aber hoffentlich nicht den Blick für die Realitäten trüben. An einem schönen Traum ist mir nicht gelegen. Mir ist an Erkenntnis gelegen.

Durch das Aufhalten des Alterungsprozesses könnte das Leben der Menschen verlängert werden, vielleicht sogar in einem beträchtlichen Ausmaß. Für spätere Generationen wird soetwas vielleicht einmal so normal sein, wie für uns heute Krankenhäuser und Medikamente. Etwas, das es für 99,9% unserer menschlichen Vorfahren nicht gab. (Unserer tierischen Vorfahren schon gar nicht.) [1] Wenn irgendwann einmal die Möglichkeit bestehen sollte – z. B. mit Hilfe der Nano-Technologie – das menschliche Gehirn Zelle für Zelle durch einen anderen längerlebigeren Baustoff zu ersetzen, dann würde auch dies lebensverlängernd sein. Aber das durch solche Maßnahmen das ewige Leben erreichbar ist, das bezweifle ich.

Es wird in transhumanistischen und extropianischen Veröffentlichungen oft davon gesprochen, dass es keine Dogmen geben dürfe, dass alles diskutierbar, bezweifelbar bleiben solle. Faktisch ist es aber so, dass sich die allermeisten Transhumanisten und Extropianer auf ein  materialistisches Weltbild festgelegt haben.

Das bedeutet: Die Welt, das Universum, letztlich das Sein schlechthin ist primär ein materielles Gebilde, das auch unabhängig von den menschlichen Vorstellungen existiert und der Mensch ist primär ein materielles Gebilde in dieser materiellen Welt. Unser Bewusstsein, unser »Ich« ist von diesem materiellen Gebilde hervorgebracht.

Ich halte es für möglich, dass diese materialistische Erklärung richtig ist. Es gibt aber weitere Erklärungen, z. B. eine  idealistische, bei der der Geist, das Bewusstsein das Primäre am Sein ist. Ich sehe mich nicht dazu in der Lage mit letzter Sicherheit zu entscheiden, welche Erklärung die richtige ist und bin so gesehen ein philosophischer Skeptizist oder  Agnostizist. An anderer Stelle habe ich mich dazu bereits nähe geäußert. [2]

Wenn die materialistische Erklärung richtig sein sollte, dann setzt Unsterblichkeit im Sinne von »mein Ich wird für alle Ewigkeit existieren« folgendes voraus:

Die Auffassung von der Ewigkeit der materiellen Welt steht im Widerspruch zur Urknallhypothese und der Theorie des pulsierenden Universums. Danach ist die materielle Welt in einem Urknall aus dem Nichts entstanden und wird, wenn die Fluchtbewegung sich einst umkehren wird und alle Galaxien ineinander stürzen, wieder ins Nichts vergehen. Partiell scheint dies bereits bei implodierten Sonnen, den Neutronen-Sternen oder »Schwarzen Löchern« zu geschehen, die sich unter dem Druck ihrer eigenen Schwerkraft auf einen mathematischen Punkt, ein bloßes Abstraktum zusammenziehen und somit aus der materiellen Welt verschwinden. [3]

»Als sich in der Explosionswolke des Big Bang in den ersten Minuten nach dem Anfang Protonen und Elektronen zu Wasserstoffatomen zusammenfügten, dem so wunderbar entwicklungsfähigen Ur-Stoff alles Kommenden, stand bereits fest, dass Beständigkeit und Dauer nicht von dieser Welt sein würden.« So Hoimar von Ditfurth. »Eine Welt, die selbst endlich ist und sich ständig wandelt, kann Unendliches und Beständiges schlechthin nicht enthalten.« [4]

Nun können diese Theorien natürlich falsch sein. Aber gerade naturwissenschaftlich-technisch denkente Menschen – und das beanspruchen die Transhumanisten und Extropianer ja ganz ausdrücklich zu sein – haben allen Grund dazu, hinter die Frage, ob die materielle Welt in die Zukunft hinein zeitlich unendlich existieren wird, ein dickes Fragezeichen zu machen.

Wenn nun argumentiert wird, beim Untergang unseres Universums, werde man sich rechtzeitig genug in ein Nachbar- oder Parallel-Universum davonmachen, demonstriert man damit, dass man endgültigen den Boden von ernstzunehmender Naturwissenschaft und Technik verlassen hat. Das ist das Niveau von Science Fiktion Literatur der naiven Sorte. Ein Nachbar-Universum ist so spekulativ wie der christliche Himmel oder die Wiedergeburt.

Sollte die materielle Welt ewig existieren, was sehr fraglich ist, müsste auch das materielle Gebilde, dass ein bestimmtes Ich hervorbringt, ewig existieren, damit das Ich unsterblich wird. Das würde voraussetzen, dass 1. aus der inneren Funktionsweise eines solchen Gebildes keine Gefahren für seine Existenz erwachsen, und dass 2. alle äußeren Einflüsse ausgeschlossen sind, die die Existenz dieses Gebildes gefährden könnten.

»Innere Gefahren« für den Körper inklusive des Gehirns sind nicht ausschließbar: Es ist fraglich, ob der Mensch oder uns folgende höhere Arten das hochkomplexe Gebilde Körper vollständig durchschauen und im Griff haben werden, so dass kein Altern, kein Verschleiß und keine Krankheit es bedrohen kann. Noch fraglicher ist, ob dies – wenn es denn überhaupt mal der Fall sein sollte – den heute Lebenden noch zu gute kommt.

Im Falle des Todes durch Altern, Verschleiß oder Krankheit bliebe die Möglichkeit der Einfrierung des toten Körpers mit der Hoffnung ihn später reanimieren zu können und der damit verbundenen Hoffnung der Rückkehr des Bewusstseins und des Ichs. Bisher ist aber noch kein komplexes Gebilde wie das menschliche Gehirn eingefroren und anschließend wiederbelebt worden. Deshalb ist es  hypothetisch, ob es funktionieren wird. Noch fraglicher ist es, ob es – wenn es denn überhaupt funktionieren sollte – den heute Lebenden noch zugute kommt. [5]

»Äußere Gefahren«, die einen Menschen, Transhumanen etc. vernichten konnten, sind ebenfalls nicht ausschließbar. Diese sind:

Auch die Unsterblichkeit durch  »Uploading« ist sehr unwahrscheinlich.

Das Uploading ist bisher noch nie praktiziert worden. Deshalb ist es hypothetisch, ob es funktionieren wird. Sollte es irgendwann einmal möglich sein, sämtliche bewussten und unbewussten Inhalte eines Gehirns auf ein anderes Medium zu übertragen, ist noch nichts darüber ausgesagt, ob auch das Bewusstsein, das Ich mit übertragen wird. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. (Und – was scheinbar übersehen wird – es setzt voraus, dass das Bewusstsein an der »Software« hängt, nicht an der »Hardware«.)

Das Uploading in eine künstliche Realität setzt eine materielle Wirklichkeit voraus, in der die künstliche Welt als Programm abläuft. Dieses Programm und das digitalisierte Ich und natürlich der Träger, auf der sich das Programm und das Ich befinden, sind nicht vor Vernichtung zu schützen.

Selbst wenn das Uploading funktionieren sollte, ist nicht gesichert, dass in dem Moment, wo ein materielles Gebilde, auf dessen Basis ein Ich existiert, zerstört wird, das Ich rechtzeitig dieses Gebilde verlässt und einen anderen Träger findet. [6]

Bleibt noch zum Schluss die Vorstellung der Erreichung von Unsterblichkeit durch die Schaffung von Kopien des eigenen Gehirns. Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch und doch zwei getrennte Ichs, zwei getrennte Subjekte. Wenn einer der Zwillinge stirbt, existiert dann sein Ich in seinem Zwilling fort? Wenn es irgendwann einmal möglich sein sollte, von einem menschlichen Körper bzw. seines Gehirns eine exakte Kopie zu machen, wäre dies ein künstlich erzeugter Zwilling mit einem ( materialistische Bewusstseinserklärung vorausgesetzt) eigenen Ich. Es wäre ein von seinem Original getrenntes Subjekt. Wenn dann dem Original etwas zustoßen sollte, zum Beispiel, dass es in einem Feuer total vernichtet würde, so dass keine auch noch so fortgeschrittene Medizin es wieder zusammenflicken könnte, wäre das Original und das daran gebundene Ich weg. Es gäbe zwar in der Welt eine exakte Kopie vom Original, vielleicht mehrere, vielleicht sogar tausende, aber Unsterblichkeit hätte das Original dadurch nicht erreicht.

Ich habe nichts dagegen alle die hier aufgelisteten Zukunftstechnologie zu entwickeln und auszuprobieren. Ich halte es aber nicht für richtig heute bereits mit Sicherheit davon auszugehen, dass sie die gewünschten Ergebnisse bringen werden. Die Wünschbarkeit einer Sache sagt nichts über ihre Realisierbarkeit aus.

Die individuelle Unsterblichkeit im Sinne von »mein Ich wird für alle Ewigkeit existieren« ist auf dem Boden einer materialistischen Weltanschauung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmöglich! Es wäre deshalb besser, die Transhumanisten würden sich darauf beschränken eine längere Lebenszeit anzustreben. Dabei ist »Unsterblichkeit oder Lebenszeitverlängerung« nicht nur eine akademische Frage. Es entscheidet auch mit darüber, wie Ernst die Transhumanisten von den nicht-transhumanistischen Menschen genommen werden. Lebenszeitverlängerung ist ein realistisches Ziel, für das man viele Menschen gewinnen kann. Es gibt keinen einsichtigen Grund dafür, warum die Menschen oder uns folgende höhere Arten für alle Zukunft nur durchschnittlich 70 bis 80 Jahre und im Extremfall 120 Jahre alt werden können. In welchem Umfang sich das Leben über das heute übliche Maß hinaus verlängern lässt, das wird die Zukunft zeigen.

Gegen ein längeres oder auch erheblich längeres Leben als den Menschen heutzutage beschieden ist, habe ich also im Prinzip nichts einzuwenden. Aber das ist nicht das »ewige« Leben. Man sollte sich doch mal klar machen, was »ewig« bedeutet. Gemessen an der Ewigkeit ist jeder begrenzte Zeitraum ein Klacks, mag er noch so lang sein. Also auch, sagen wir mal zehntausend Trilliarden Jahre.

Natürlich macht es erheblich mehr Spaß das ewige Leben anzustreben als nur ein längeres Leben, an dessem Ende dann, egal wie lang das Leben auch sein mag, eben doch der Tod steht. Aber hier muss man sich entscheiden: Will man eine nüchterne, kritische Abwägung der Möglichkeiten oder will man einen schönen Traum?

Man sollte sich allerdings auch über folgendes im Klaren sein: Eine erheblich längere Lebensspanne könnte auch zum Fluch werden. Wenn heute ein Mensch bei einem Unfall oder durch ein Verbrechen ums Leben kommt, ist dies schlimm genug. Aber stellen wir uns einmal vor, das passierte einem Menschen, Transhumanen oder sonstigem Lebewesen, das ohne dieses Ereignis noch einige tausend, Millionen oder Milliarden Jahre existiert hätte. Das wäre doch ein viel größeres Unglück. Vielleicht werden die »Unsterblichen« später in irgendwelchen Schutzräumen vor sich hinvegetieren, unfähig auch nur auf die Straße zu gehen. (Oder was es dann dazu vergleichbares geben sollte.) Wer wäre dann noch bereit sich echte Risiken auszusetzen? Solche sind z. B. bei der Kolonisierung des Weltalls unumgänglich.

Ich rate dazu, eine gewisse skeptische Distanz zu den eigenen Überzeugungen zu bewahren. Wer heute ohne jeden Zweifel davon ausgeht, nicht sterben zu müssen, für den wird es vielleicht mal ein böses Erwachen geben. Es sei denn, dass er irgendwann gar nicht mehr erwachen will, dass er sich irgendwann so sehr in den Glauben an seine Unsterblichkeit verliebt hat, dass er sich diesen nicht mehr kaputt machen lassen will. Dann wird er sich gegen jede Kritik abschotten.  Interessensbedingte Erkenntnisschranken werden ihn daran hindern, noch Kritik aufzunehmen. Er wird sich mit Gleichgesinnten (Gleichgläubigen) zusammentun und faktisch in einer Sekte existieren. Unsterblichkeit wird er dadurch nicht erreichen, aber er wird vielleicht bis zur letzten Sekunde seines Lebens daran glauben. Beispiele aus der Geschichte gibt es leider haufenweise!

Ein sehr wichtiger Grund für mich, Transhumanist zu sein, ist, dass ich auch eine Weiterentwicklung der Ethik erhoffe. In einer Welt, in der viele Menschen überhaupt keine Chance haben, das heute mögliche Alter zu erreichen, z. B. weil sie verhungern oder in Kriegen sterben, halte ich es ethisch für fragwürdig, dass einige sehr privilegierte Menschen an ihrer individuellen Unsterblichkeit basteln.


Der Glaube an die individuelle Unsterblichkeit ist ein schwerer Rückfall in religiöses Wunschdenken. Daran ändert auch nichts, dass dieses Wunschdenken in wissenschaftlich-technischer Verpackung daherkommt.




2. Über die (bisherige) Notwendigkeit und Irrationalität der Todesangst

Ich lebe gern, aber ich habe keine Angst vor dem Tod . Ich habe allerdings Angst vor dem Sterben. Todesangst ist irrational. Aber die Irrationalität ist ein Teil des Menschen. Ich kann nicht ausschließen, dass mich beim Sterben die irrationale Todesangst packen wird. Vor dieser möglichen psychischen Qual habe ich Angst. Darüber hinaus kann das Sterben auch von körperlichen Schmerzen begleitet sein. Auch vor dieser Möglichkeit habe ich Angst. Vor dem Tod selbst habe ich keine Angst. Jedenfalls nicht jetzt, wo ich rational denken kann.

Der griechische Philosoph  Epikur sagt: Der Tod geht uns nichts an. Solange wir leben, ist der Tod nicht da. Ist der Tod aber da, existieren wir nicht mehr. (Im Gegensatz zu Epikur und vielen anderen Menschen weiß ich allerdings nicht, ob ich nach meinem Sterben noch existieren werde oder nicht. Für mich ist das eine offene Frage.)

Warum es Todesangst gibt, lässt sich im Lichte der  Evolutionstheorie erklären: Ein Lebewesen, das seine Vernichtung panikartig fürchtet und alles daransetzt, dieser Vernichtung zu entgehen, hat eine größere Chance zu überleben, sich fortzupflanzen und diese Eigenschaft an die nächste Generation weiterzugeben, als ein Lebewesen, das seine Vernichtung nicht in diesem Maße fürchtet. Todesangst hat in der Natur eine fürs Überleben notwendige Funktion. Sie ist Teil unseres genetischen Programms. Und so ist auch der Wunsch nach individueller Unsterblichkeit ein Teil unseres genetischen Programms. Transhumane bzw. posthumane Lebewesen, die im Verlaufe einer gezielt betriebenen postdarwinschen Evolution entstanden sind, werden den Wunsch nach ewiger individueller Fortexistenz vielleicht gar nicht empfinden.


3. Über die Möglichkeiten der überindividuellen Unsterblichkeit

Wenn das Ich, die bewusst erlebende Persönlichkeit, ein Produkt des menschlichen Gehirns ist (und dies ist möglicherweise die Wahrheit), dann bedeutet dies, dass auf Basis einiger Milliarden miteinander vernetzter, miteinander kommunizierender Nervenzellen ein sich wissendes Ich entsteht. (Dieser Vorgang, wenn er denn überhaupt stattfindet, und das entstandene Ich sind etwas, das sich einer naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht. Aber das klammere ich hier mal aus.)

Wenn man nun zwei Gehirne sosehr miteinander vernetzt, wie die Zellen eines Gehirns miteinander vernetzt sind, werden dann nicht aus den zwei »Ichs« ein »Ich«? Ohne, dass eines der beiden »Ichs« verloren geht! Sollte irgendwann einmal das »Uploading« möglich sein, dann bestände auch die Möglichkeit, mehrere »Ichs« auf den gleichen Träger zu übertragen. Und dann würden diese »Ichs« wahrscheinlich zu einem »Ich« verschmelzen.

Außerdem besteht noch die Möglichkeit, dass künstlich erzeugte Hirne ebenfalls Bewusstsein entwickeln, ohne das irgendwelche menschlichen Bewusstseins dazu nötig wären.

Bei einer solchen »Evolution des Bewusstseins« würden individuelle menschliche Bewusstseins heutigen Entwicklungsstandes irgendwann soetwas wie »Bewusstseins-Amöben« sein. Aus der Perspektive der höheren Bewusstseinsformen wäre der Wunsch einer solchen »Bewusstseins-Amöben« nach ewiger Fortexistenz ähnlich relevant, wie aus unserer menschlichen Perspektive das Bestreben eines Bakteriums seine Existenz zu erhalten. (Wir sind nicht nur die Schimpansen der Zukunft, letztlich sind wir auch die Bakterien der Zukunft.) [7]

Aber nun haben ja gerade die Transhumanisten das Bestreben, das eigene individuelle Bewusstsein bzw. deren Inhalte zu erweitern, sogar beträchtlich zu erweitern. Im Verlaufe eines solchen Prozesses wird der Wunsch nach individueller Fortexistenz, nach ewiger Getrenntheit von den andern Bewusstseins wahrscheinlich verschwinden. Ansonsten müsste ein solches Bewusstsein darauf bedacht sein, die Vernetzung mit anderen zu begrenzen um nicht mit seinem Ich in einem größeren umfassenderen Ich aufzugehen. Mir erscheint ein solches Bestreben, wenn es dann überhaupt zu einem solchen kommen sollte, ähnlich dem Bestreben eines Kindes, nicht erwachsen zu werden.

Die Identität eines Kindes und die eines aus diesem Kind hervorgegangenen Erwachsenen ist nicht die gleiche. Das Kind, das ich eins war, existiert heute nicht mehr, ohne das ich dies als einen Mangel empfinden würde. Der Übergang von der kindlichen Identität zu der des Erwachsenen war ein allmählicher, kein abrupter. Ähnlich kann der Übergang von dem individuellen zu dem überindividuellen Bewusstsein ein allmählicher sein. Die Freiwilligkeit soll gewahrt sein. Die daran Beteiligten werden keinen Verlust empfinden.

Aber selbst wenn es zur Entstehung eines solchen Superbewusstseins kommen sollte, dann wäre auch dieses nicht unsterblich, jedenfalls nicht, solange es dieses Universum und die in ihm vorhandene Materie als Existenzvoraussetzung hat. Denn das Universum ist endlich und kann nichts Unendliches enthalten.

Nun kann man natürlich die Richtigkeit des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes oder Teilen davon in Frage stellen. Das ist völlig legitim und hat mit Fortschritts- oder Wissenschaftsfeindlichkeit gar nichts zu tun. Karl Popper, einer der bedeutendsten Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, betrachtet das wissenschaftliche Weltbild als eine Sammlung von  Hypothesen, als ein Netzwerk von Vermutungen. Unredlich wird das Ganze erst, wenn man sich aus dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild einige Aussagen herauspickt, sie zu unumstößlichen Wahrheiten erklärt und diejenigen Teile dieses Weltbildes, die nicht zum eigenen Wunschdenken passen, ignoriert, bzw. nur hier seinen Skeptizismus entdeckt. Dann steht an erster Stelle das Wunschdenken und nicht das Erkenntnisinteresse. Und dann hat man keinen Grund mehr, sich wegen seines angeblich wissenschaftlich-technischen Ansatzes über die religiösen Menschen erhaben zu fühlen.

Man kann die Hypothese aufstellen, dass bereits vor, oder besser gesagt unabhängig vom Urknall, sowie vergangener und zukünftiger »Urknälle« etwas existiert, das Materie, Raum und Zeit nicht als Existenzvoraussetzung hat. (Das Wort »vor« impliziert Zeit und da die Zeit erst mit dem Urknall entstanden ist, kann es kein »vor dem Urknall« geben.) Wenn wir Menschen in irgendeiner Weise Teile dieses »etwas« sind, wie es die pantheistischen Religionen und Philosophien annehmen, und wenn dieses »etwas« sich immer wieder in bewussten Existenzen manifestiert, dann ist die überindividuelle Unsterblichkeit ein Faktum, das nicht erst herbeigeführt werden muss. (Für »etwas« kann man natürlich auch »Gott«, »Weltgeist«,  »Ewige Ideen«,  »Ding an sich« etc. einsetzen. Oder auch »babig«, wie Rudolf Carnap sagen würde.)

Ich will hier aber nicht einem naturwissenschaftlich-technischen Glauben an die Möglichkeit der Unsterblichkeit einen religiösen oder philosophischen Dogmatismus entgegenstellen. Alles, was ich behaupte, ist, dass Unsterblichkeit auf materieller Grundlage unmöglich, auf immaterieller Grundlage dagegen denkbar ist. Nach meinem Dafürhalten ist eine immaterielle, überindividuelle Unsterblichkeit sogar wahrscheinlich. Aber mit letzter Sicherheit weiß ich das nicht. [8]


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Anmerkungen

Anm. 1: Siehe hierzu den philolex-Beitrag: Zeittafel. Zurück zum Text

Anm. 2: Siehe hierzu bitte meine Aufsätze: Gedanken zur Erkenntnistheorie und Kritik des philosophischen Materialismus. – Zurück zum Text

Anm. 3: So nachzulesen bei Hoimar von Ditfurth: Kinder des Weltalls, Kapitel Der Stoff, aus dem wir bestehen. Dieses Buch ist inzwischen 30 Jahre alt und ich weiß nicht, wieviele Astro-Physiker diese These heute noch vertreten. Es gibt inzwischen auch die These vom »Endknall«. Das Universum werde nicht irgendwann in sich zusammenstürzen, sondern alle Materie werde auseinander fliegen. Sollte das tatsächlich in Zukunft mal eintreten und es zu diesem Zeitpunkt intelligente, bewusste Wesen auf materieller Basis geben, wird das ihren Tod bedeuten. Zurück zum Text

Anm. 4: Hoimar von Ditfurth, Im Anfang war der Wasserstoff, 1. Kapitel, Schlusssätze. Zurück zum Text

Anm. 5: Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein prinzipieller Gegner der Kryonik. Es ist durchaus möglich, dass ich mich im Laufe der nächsten Jahrzehnte dazu entschließe, mich einfrieren zu lassen. Sollte ich mich dazu entschließen, dann aber nicht in der Hoffnung auf ein ewiges Leben, sondern in der Hoffnung auf ein längeres Leben. Zurück zum Text

Anm. 6: Wenn man an die Möglichkeit glaubt, dass das Bewusstsein, das Ich den Körper verlassen kann um auf einem anderen Träger fortzuexistieren, wieso lehnt man dann mit Vehemenz ähnliche religiöse, mystische oder philosophische Weltanschauungen ab? Sollte eine dieser Auffassungen richtig sein, dann würde das Ich vielleicht auf einem Träger fortexistieren, der sich außerhalb unseres menschlichen Erkenntnisvermögens befindet. Gerade wenn man die Menschen als Durchgangsphase der  Evolution ansieht, liegt es doch nahe, anzunehmen, dass wir uns noch nicht alle quantitativen und qualitativen Sphären des Seins erschlossen haben. Solche Vorstellungen mit Sicherheit als falsch auszuschließen, ist Ausdruck eines mehr oder weniger »Naiven Realismus«. – Zurück zum Text

Anm. 7: Treffen sich zwei Planeten. Fragt der Eine: »Na, wie geht's?« Sagt der Andere: »Ach, nicht so. Ich hab Homo Sapiens.« (Sagt der Erste: »Keine Sorge. Sowas ähnliches hatte ich auch mal. Aber das geht von selbst wieder weg.«) – Zwischen Menschen und Bakterien gibt es einen wichtigen Unterschied. Wir Menschen wissen um unsere Existenz und können Glück und Leid empfinden. Wir werden niemals zu Bakterien in dem Sinne, dass wir so unbewusst und merkmalsarm werden wie sie. Aber die Differenz zwischen uns Menschen und höheren Bewusstseinsformen kann einst eine Dimension annehmen, die der zwischen uns Menschen und den Bakterien vergleichbar ist. Zurück zum Text

Anm. 8: Diese Anmerkung behandelt ein Thema, das eng mit der Möglichkeit der Unsterblichkeit zusammenhängt, aber eigentlich schon einen eigenen Aufsatz verdient hätte. Es geht um die Frage, ob unsere Welt nicht eventuell schon eine »künstliche Wirklichkeit« ist. Wenn es möglich sein sollte, sein Bewusstsein bzw. alle Inhalte des Bewusstseins und alle nicht bewussten Inhalte des Gehirns zu digitalisieren, dann wird es auch möglich sein, Teile dieser Inhalte zu löschen bzw. zu verschieben, so dass sie vorübergehend dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Wenn man sich dann mit seinem Bewusstsein in eine künstliche Welt hineinbegibt, aber alle Erinnerungen an das Davor unzugänglich macht, dann wird man nicht wissen, dass man in einer künstlichen Wirklichkeit ist. Wenn man dies für möglich hält, dann muss man konsequenter Weise auch für möglich halten, dass die Welt, in der wir jetzt leben, bereits eine künstliche Welt ist. Und man muss konsequenter Weise für möglich halten, dass man das einzige »Ich« in dieser speziellen künstlichen Wirklichkeit ist. (Weil andere mögliche »Ichs« sich in anderen künstlichen Wirklichkeiten befinden.) Bezogen auf diese Welt beinhaltet dies also die Möglichkeit des Solipsismus.– Sollte diese Welt bereits eine künstliche Welt sein, würde dies bedeuten, dass dieser Welt eine andere »wirklichere« Wirklichkeit zugrunde läge, in der diese Welt als Programm abläuft. Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, kommt man in die Nähe der  platonischen Philosophie. – Wenn ich behaupten würde, mein Bewusstsein sei Produkt meines Gehirns, dann wäre dies, bezogen auf diese Welt, falsch, weil mein Gehirn und mein ganzer Körper ja nur Teile des Programms wären, das in der »realeren« Realität abläuft. Welche Gestalt, welches »Gehirn«, bzw. vergleichbares dazu, ich in dieser »tatsächlichen« Welt habe, kann ich nicht wissen. Dies alles für möglich zu halten und sich gleichzeitig auf ein  materialistisches Weltbild zu versteifen, ist inkonsequent. Eine solche Auffassung zieht zumindest den  Agnostizismus zwangsläufig nach sich. – Man könnte auch den Urknall als Auslöser für die Entstehung einer »künstlichen Wirklichkeit« ansehen. Zurück zum Text


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